Die Fußball-EM in Deutschland ist in vollem Gange. Neben den sportlichen Ereignissen sorgte ein YouTube-Video des YouTubers und Journalisten Marvin Wildhage für Aufsehen. Als Maskottchen verkleidet, schmuggelte er sich auf das EM-Spielfeld und enthüllte damit erhebliche Sicherheitslücken. Mittlerweile haben 2,6 Millionen Menschen das Video gesehen, das zeigt, wie er als falsches Maskottchen während der EM-Eröffnung in München aufs Spielfeld gelangte. Heute möchte ich als Strafverteidiger in Hildesheim und Hannover genauer darauf eingehen, inwiefern dies strafrechtlich relevant ist.
Das Video verdeutlicht, wie einfach es ist, das Kontrollsystem des EM-Veranstalters zu umgehen: Ein täuschend echt aussehendes Kostüm aus China, ein als Mitarbeiter eingeschleuster Komplize, selbst gebastelte Arbeitsausweise und ein gefälschter Parkausweis genügen. Der Schwindel wird aufgedeckt und Wildhage von der Polizei festgenommen. Dieser sicherheitspolitische Skandal überschattet die EM. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft München gegen den YouTuber wegen Hausfriedensbruchs, Urkundenfälschung und Erschleichens von Leistungen. In einem weiteren YouTube-Video schildert Marvin Wildhage die gegen ihn erhobenen Vorwürfe und stellt im Titel die zentrale Frage: "Muss ich in den KNAST?". Als Anwalt für Strafrecht in Hildesheim werde ich mich mit diesen Fragen im Detail befassen. Zuvor hatte er bereits mehrere unterhaltsame Videos produziert, die auch einen investigativ-journalistischen Ansatz verfolgten.
Urkundenfälschung
Um zu beurteilen, ob Marvin Wildhage sich wegen Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 1 Var. 1, 3 StGB strafbar gemacht hat, muss man klar zwischen den gefälschten Arbeitsausweisen und dem gefälschten Parkausweis (von den Ordnern als „Parkticket“ bezeichnet) unterscheiden. Im Video erklärt und zeigt er, dass er selbst UEFA-Arbeitsausweise angefertigt hat. Diese wurden mit „ausgedachten Daten“ und QR-Codes, die aus Instagram-Fotos von UEFA-Mitarbeitern kopiert wurden, digital erstellt. Die gefälschten Arbeitsausweise scheinen weder Namen noch Fotos zu enthalten.
Es kann diskutiert werden, ob es sich bei den gefälschten Ausweisen überhaupt um Urkunden handelt. Eine Urkunde ist jede perpetuierte menschliche Gedankenerklärung, die ihren Aussteller erkennen lässt und dazu geeignet und bestimmt ist, im Rechtsverkehr als Beweis zu dienen. Die Arbeitsausweise zeigen das UEFA-Logo als Aussteller und könnten die Gedankenerklärung verkörpern, dass der Inhaber zum Aufenthalt auf dem Stadiongelände berechtigt ist. Aufgrund der fehlenden Individualisierung ist jedoch fraglich, ob die Ausweise überhaupt als Beweis dieser Erklärung geeignet sind. Einige Rechtsexperten lehnen die Beweisfähigkeit eines offiziellen Parkberechtigungsscheins ab, wenn der Berechtigte und die Genehmigungsnummer nicht vermerkt sind. Diese Rechtsprechung könnte auf die Arbeitsausweise übertragen werden, indem argumentiert wird, dass ohne erkennbaren Inhaber kein Urkundencharakter vorliegt.
Es gibt jedoch auch eine andere Sichtweise, die die Arbeitsausweise trotz fehlender Individualisierung als Urkunden betrachtet. Schließlich war es üblich für neue EM-Helfer, dass solche Angaben fehlten, und die Ordner hatten keine Zweifel an der Echtheit der Ausweise. Der Erfolg des Täuschungsmanövers zeigt deutlich die Beweisfähigkeit der gefälschten Pässe auf.
Wenn man die Ausweise als (zusammengesetzte) Urkunden betrachtet, sind sie auch gefälscht. Sie stammen nicht von der UEFA, deren Aussteller sie vortäuschen, sondern wurden von dem YouTuber selbst hergestellt. Durch diese Handlung hat er gefälschte Urkunden im Sinne von § 267 Abs. 1 Var. 1 StGB erstellt und sie durch das Tragen und Vorzeigen beim Betreten des Stadions gemäß § 267 Abs. 1 Var. 3 StGB verwendet.
Beim Betreten des Stadions war im vorderen Bereich des Autos des YouTubers ein gefälschter Parkausweis sichtbar. Ein Komplize hatte zuvor einen originalen Parkausweis fotografiert, und es scheint, dass digital ein nahezu identisches Dokument erstellt und ausgedruckt wurde. Im Video wurde der Parkausweis jedoch vollständig unkenntlich gemacht. Falls er keine individuellen Informationen über den berechtigten Fahrzeugführer enthielt, könnte man ähnlich wie bei den Arbeitsausweisen über die Beweisfähigkeit streiten. Wenn jedoch beispielsweise das Kennzeichen des Fahrzeugs vermerkt war, würde sich diese Frage nicht stellen, und es läge klar eine Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 1 Var. 3 StGB vor.
Erschleichen von Leistungen
Durch seine Aktion als Maskottchen könnte er sich möglicherweise wegen des Erschleichens von Leistungen nach § 265a Abs. 1 Var. 4 StGB strafbar gemacht haben. Diese Vorschrift sieht eine Strafe vor für denjenigen, der den Zutritt zu einer Veranstaltung erschleicht, um das Entgelt nicht zu bezahlen. Laut seinen eigenen Angaben im Video war es dem YouTuber gerade darum gegangen, kostenlos am EM-Spiel teilnehmen zu können.
Es ist jedoch fraglich, ob er tatsächlich eine entgeltliche "Leistung" im Sinne des § 265a StGB erschlichen hat. Nach der Rechtsprechung des OLG Hamburg ist ein entscheidendes Kriterium des objektiven Tatbestands, dass normalerweise für den erschlichenen Zutritt ein Entgelt entrichtet werden müsste. Im Fall eines EM-Spiels müsste ein Fan üblicherweise ein Ticket kaufen, um im Stadion zu sein.
Der YouTuber setzte sich jedoch nicht wie ein gewöhnlicher Zuschauer auf die Tribüne, sondern gelangte direkt an den Spielfeldrand und tanzte sogar während der Eröffnung auf dem Spielfeld. Diese Erfahrung ist nicht nur einmalig, sondern kann nicht käuflich erworben werden. Niemand kann sich beispielsweise gegen Entgelt einen Auftritt als Maskottchen bei einem EM-Spiel erkaufen. Tatsächlich erhält normalerweise jemand ein Entgelt dafür, als Maskottchen aufzutreten. Wenn jedoch etwas gar nicht gegen Entgelt angeboten wird, kann es, nach meiner Einschätzung als Anwalt für Strafrecht, keine "Leistung" im Sinne des § 265a StGB sein.
Nach der herrschenden Meinung erfüllt daher beispielsweise jemand nicht den Tatbestand, der auf dem Dach oder Trittbrett eines Zuges mitfährt, da solch eine Beförderung nicht gegen Bezahlung angeboten wird. Überträgt man diese Argumentation auf den Fall des Maskottchens, könnte die Strafbarkeit wegen Erschleichens von Leistungen ebenfalls ausscheiden.
Hausfriedensbruch
Es bleibt die Frage, ob er sich auch wegen Hausfriedensbruch nach § 123 Abs. 1 Alt. 3 StGB strafbar gemacht hat. Das Stadion gilt als befriedetes Besitztum und ist somit ein Raum, der durch § 123 StGB geschützt wird. Doch hat der YouTuber dort tatsächlich "eingedrungen"? Dafür müsste er das Stadion gegen den Willen des Berechtigten (UEFA) betreten haben. Andernfalls entfällt der Hausfriedensbruch aufgrund eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses.
Möglicherweise könnte das Sicherheitspersonal eine Zustimmung im Namen der UEFA gegeben haben. Die Ordner kontrollierten die Arbeitsausweise, den Parkausweis und die Maskottchen-Verkleidung. Sie bemerkten jedoch nicht, dass alles gefälscht war, und gingen davon aus, dass es sich um das echte Maskottchen handelte. Da sie der Täuschung erlagen, ließen sie den YouTuber passieren.
Nach allgemeiner Meinung lässt jedoch auch ein durch Täuschung erschlichenes Einverständnis des Berechtigten oder seiner Vertreter den Hausfriedensbruch entfallen. Sobald jemand durch Täuschung dazu gebracht wird, ein Einverständnis zu erklären, gilt faktisch dieses erklärte Einverständnis. § 123 StGB schützt nur diesen tatsächlich erklärten Willen und nicht die irrige Willensbildung. Daher liegt nach herrschender Meinung zum Beispiel kein Hausfriedensbruch vor, wenn sich jemand als Mitarbeiter der Stadtwerke ausgibt, um Einlass in Wohnungen für angebliche Zählerablesungen zu erhalten und dort Wertgegenstände entwendet.
Übertragen auf den Fall des Maskottchens bedeutet dies: Da die Kontrolleure auf die Täuschung des YouTubers hereinfielen und im Namen der UEFA ihr Einverständnis mit seinem Aufenthalt im Stadion erklärten, liegt, nach meiner Beurteilung als Anwalt für Strafrecht, kein "Eindringen" gemäß § 123 Abs. 1 Alt. 3 StGB vor. Marvin hat sich daher nicht wegen Hausfriedensbruch strafbar gemacht.
Welche Strafe hat der Youtuber zu erwarten?
Selbst wenn sowohl die Urkundenfälschung als auch das Erschleichen von Leistungen bei dem YouTuber festgestellt werden sollten, wird er höchstwahrscheinlich nicht ins Gefängnis müssen. Beide Delikte sind Vergehen, die auch mit Geldstrafen geahndet werden können. Es ist gut möglich, dass das Verfahren gegen Wildhage gemäß § 153 Abs. 1 S. 1 StPO eingestellt wird, da seine Schuld als gering anzusehen ist und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Zumindest wäre dies für mich als Strafverteidiger in Hildesheim das Ziel für den Mandanten. Immerhin hat er Sicherheitslücken im Kontrollsystem der UEFA aufgedeckt, die für die Sicherheit der fast drei Millionen Menschen relevant sind, die bis zum Ende der EM noch in deutschen Stadien erwartet werden. Die Offenlegung dieser Informationen dürfte im öffentlichen Interesse liegen, weit mehr als eine Bestrafung des YouTubers.
Fazit
Als Anwalt für Strafrecht aus Hildesheim analysiere ich den Fall des Fake-Maskottchens bei der Fußball-EM. Trotz der strafrechtlichen Vorwürfe wird Marvin Wildhage wahrscheinlich keine Gefängnisstrafe erwarten müssen. Die Ermittlungen wegen Urkundenfälschung, Erschleichens von Leistungen und Hausfriedensbruchs könnten eingestellt werden, da seine Handlungen erhebliche Sicherheitslücken im Kontrollsystem aufgedeckt haben, was im öffentlichen Interesse liegt. Bei rechtlichen Fragen oder Anliegen stehe ich gerne zur Verfügung.
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